Hasskommentare und was Freud dazu sagen würde

Inzwischen, als eine Errungenschaft des Internets, kann sich jeder und jede von seinem heimischen Sofa aus, zu allen möglichen gesellschaftlichen Themen äußern. Zumindest für den – vermutlich letztlich doch kleinen Teil der Gesellschaft – stellen Twitter, Facebook und Instagram eine beliebte Spielwiese zur Verfügung, in der Mensch sich mit seinen Meinungen und Haltungen austoben kann. Fernsehen und etablierte Presse greifen auch die absurdesten Nachrichten auf und schreiben gerne, „die sozialen Medien meinen….“, So kulminieren Empörungswellen und Solidarisierungen mit Unbekannten.

Jetzt ist die Überraschung groß, dass zunehmend Hasskommentare, Verleumdungen, gezielte fakenews, Morddrohungen immer stärker die öffentliche Debatte zu dominieren zusammen beginnt. Eine vielfach unterirdische Ausdrucksgemeinschaft. Wen wundert es, dass eine extrem zugespitzt verächtliche Botschaft größere Aufmerksamkeit erzeugt als eine differenzierte Reflexion. Das was schon auf dem Schulhof so.

Sigmund Freud analysierte die menschliche Seelenlandschaft und schuf mit der Unterscheidung der psychischen Instanzen des ES, des ICH und des ÜBER_ICH ein anerkanntes und immer noch zutreffendes Persönlichkeitsmodell. Das ES umschreibt unsere Triebstruktur, also Ur-menschliche Anlagen zur Sexualität, zur Aggression, sogar zum Tod. Ja, wir haben durchaus im positiven Sinne eine Veranlagung, einen Triebisposition zur Aggression und zur Sexualität. Die Sexualität ist die Basis unseres Suche nach Lustgewinn, die Aggressision – aggresere = auf etwas zu gehen dient als Basis unseres Schaffensdrangs.

Das ÜBER_ICH sammelt im Laufe des Lebens die Moralvorstellungen, Normen und Werte aus dem gesellschaftlichen Umfeld ein. Erziehung, Konfrontation mit der Realität und Erwartungen von Anderen formen dieses ÜBER_ICH. Wir erwerben uns ein Gewissen, ein Verantwortungsgefühl, wir  verarbeiten diese Moralimpulse – oft gar nicht bewusst – rahmen und kontrollieren, umhüllen das ES. Nur wenn dieser Prozess gelingt, entsteht ein stabiles ICH.

Das anonymisierte Internet scheint das ÜBER-ICH wegzuziehen. Im online-Bereich verschwindet die Kontrollfunktion des ÜBER_ICH offensichtlich. Hasskommentare, pädophiles Handeln, Kinderpornografie, sexuelle Übergrifflichkeiten (wie das aktuell thematisierte Cyber-grooming) und Morddrohungen gegen Politiker und Andersdenkende zeigen, dass nicht wenige Menschen unter speziellen Bedingungen ihr ES unkontrolliert in die Öffentlichkeit stellen und stellen dürfen. Während Freud diese Phänomene eher im privaten Bereich ansiedelte, bekommen sie nun einen öffentlichen Platz. Mein ES kann ich besser ausleben, wenn ich meine Wut auf z.B., Klimaschützer meinen 200 unbekannten „Facebook-Freunden“ mitteilen kann, das ÜBER_ICH verliert seinen Schutzcharakter.

Was bedeutet das für eine gesellschaftliche Entwicklung, in der zwar öffentlich Hasskommentare und sexuelle Übergriffe (mobbing auf dem Pausenhof) verurteilt werden, aber dennoch immer wieder zitiert? Was macht das mit den „anfälligen“, deren ÜBER_ICH schon immer leichter auszuhebeln war? Was macht das mit Jugendlichen, die diesse Realität als fast schon normal und alltäglich erleben? Freuds „Unbehagen in der Kultur“ erfährt hier eine neue Deutung.

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