Mensch 4.0 - oder …
Was folgt aus der schönen neuen Arbeitswelt?

 

Auf dem Weg zum „homo digitalis“ ?

Voller Begeisterung schwärmt  seit einigen Jahren jedes moderne Technikunternehmen, die IHK und viele Entscheider in Wirtschaft und Politik, – recht weit vorne auch die print-Medien –  von den rosigen Zukunftsaussichten einer Entwicklung  hin zum Internet 4.0. Nahezu jeden Tag übergießen uns in Wirtschaftskongressen und technikaffinen Foren Zukunftspropheten mit den Segnungen dieser digitalen Revolution.

Das Internet der Dinge – , der Kühlschrank kommuniziert mit dem Lebensmittelversandhandel, das Auto fährt dank komplizierter Algorithmen selbständig und ohne Fahrer zum Ziel, der Fehler in der Computersoftware einer CAD-Fräsmaschine repariert sich selbst – macht das Leben leichter. Sie wird endlich die Anfälligkeit des Menschen für Fehler ausgleichen und führt uns in eine erstrebenswerte neue Arbeitswelt.

Diese Entwicklung wird von optimistischen Ingenieuren vorangetrieben, die im Auftrag Ihrer Unternehmen wunderbare neue Märkte und Absätze prophezeien.

 

4.0 als Zauberformel

Dazu braucht es natürlich eine Wirtschaft 4.0, wovon sich die fast alle -Politiker und Parteien begeistern lassen. Der Boden für diese Technik muss bereitet werden, und man fragt sich beschwichtigend nur am Rande, wie viele Arbeitsplätze wegfallen könnten.  Der Gedankengang führt weiter zu einer Arbeit 4.0, in der der Arbeitnehmer 4.0 vor allem vernetzte Prozesse vor unseren Bildschirmen überwacht.  Infolge dessen wäre ein Mensch 4.0 hilfreich, wofür die Schulen zu sorgen haben. Der soll sich hierbei auch nicht langweilen, hoch technisches und entsprechendes knowhow aneignen um diesen Anforderungen gerecht zu werden. So klar, so linear und so einfach.

 

Bereits heute verfolgen wir eine Entwicklung im Arbeitsleben, in der auf der einen Seite immer hochkomplexere Software-Konstruktionen unseren Alltag bestimmen. Jeder „Digital-Nerd“ wird in seiner Leidenschaft gepackt wird: ach, wie reizvoll, schon auf dem Nachhauseweg, den Herd mit dem Smartphone anzuschalten, um das fertige Menü nach Erreichen der Wohnung auf dem Tisch vorzufinden.Die „early adapters“ wollen jedes neue Instrument möglichst schnell besitzen und anwenden, die „schnecken-adapters“ warten fünf Jahre, bis es nahezu jeder Nachbar hat. Aber nahezu alle wollen es haben, der immanente Reiz ist mit kleinen Annehmlichkeiten eingebaut.

Wer spricht auf der anderen Seite von den Menschen, die diese Entwicklung immer weniger verstehen und anwenden wollen, weil sie – wie antiquiert – noch mit den Sinnen nachvollziehen wollen, was sie da tun. Diese heute bereits hochspezialisierte Digitalwelt ist für 90 % der Arbeitenden nicht durchschaubar, vielleicht anwendbar, aber nicht zu kontrollieren.

 

Der alltägliche Wahnsinn

Wer sich heutzutage bei google  eine Waschmaschine im Onlinehandel anschaut, wird auf mittlere Dauer mit ständig neuer Waschmaschinenwerbung konfrontiert. Diese Werbung, algorithmisch auf wunderbare Weise auf unsere angeblichen Bedürfnisse ausgerichtet, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf weitere Küchengeräte. Wer heutzutage Musik im Streaming Dienst spotify anhört, gibt er z.B. David Bowie ein, wird immer wieder mit seinen 10 erfolgreichsten Hits konfrontiert, alle 500 weiteren Stücke versinken in den Hinterstuben der Wahrnehmungslosigkeit. Beim modernen Suchergebnis zählt nur, was auf der ersten google-Seite erscheint, geben wir als Suchbegriff „Waschmaschine reparieren“ oder „David Bowie“ ein.

Diese Dominanz der Algorithmen fokussiert unsere Wahrnehmung auf das, was „die meisten“, uns anbieten,  also der Mainstream, also das kommerziell erfolgreichste Produkt. Uns wird eine endlose Erweiterung unserer Möglichkeiten suggeriert.  In der erlebten Wirklichkeit eines Großteils der Konsumenten schrumpfen diese Möglichkeiten auf eine kleine Zahl der am intensivsten beworbenen  Produkte zusammen. Wir werden nicht immer freier, wir werden immer uniformer. Dem können wir noch durch technisches Knowhow 20 weiterer versteckter Funktionen entfliehen, sofern wir sie in mühseliger Suche entdecken.

Das offizielle Szenario autonomen Fahrens ist die Unfallfreiheit, die Verkehrslenkung und die Entlastung des Fahrers. Das wahrscheinlichere Szenario desAlltagsnutzeres wird aber ehersein: Um statt der vorgesehenen Route meines selbstfahrenden Autos, einen spontanen Abstecher zu fahren, muss ich meine Programmierung abändern. Dessen Code finde ich gerade leider nicht („ach ja, der ist in meinem Smartphone gespeichert, dessen Akku  nur leider gerade leer ist“).  Irgendetwas ist immer gerade nicht upgedatet, nicht mit allen Sicherheitsfeatures bestückt, einem Serverausfall überantwortet oder dem immer noch analogen Hirn nicht zugänglich. Da  erscheint  es dem Fahrer schnell zu kompliziert, sie überantwortet ihre ersehnte Pause doch bequemlicherweise lieber dem Programm.

 

Für wen denn eigentlich?

Diesen technischen Entwicklungen werden dank frühzeitiger Bildung in Kindergarten und Schule immer mehr Menschen folgen können – und genauso immer mehr nicht. Für letztere fordert  ihre mental-intellektuell-seelische Grundausstattung eher analoges, in Bildern und Sprache,  fühl-, sicht oder hörbares, in jedem Fall direkt sinnlich Nachvollziehbares. Diese erleben sich abgehängt und schrumpfen in der Arbeitswelt 4.0 zum Opfer, zu Konsumenten, die das Vorgegebene blind befolgen…und befolgen müssen (wenn die Bankfiliale schließt werden Kunden zwangsweise ins Online-Banking gedrungen.)

Bereits heute haben wir eine gesellschaftliche Spaltung in 2/3, die in unserem reichen Deutschland eine Vermehrung ihrer Entwicklungs- und materiellen Chancen erleben, 1/3, das in steigender Armut, dieser kapitalistischen Wohlstandsvermehrung nicht folgen kann.

Bereits heute müssen in erheblichem Ausmaß psychiatrische Kliniken (s. Würzburg)  neu gebaut werden, da ein steigender Prozentsatz der Menschen den Prozessen der

  • Beschleunigung (immer mehr zu produzierende Einheiten in einer Zeiteinheit)
  • Ökonomisierung (jeder Handgriff einer Altenpflegerin wird kostenrelevant erfasst)
  • Individualisierung  (jeder ist allein seines Glückes Schmied)
  • Entgrenzung (was kann ich nachts um 23 Uhr noch schnell für morgen programmieren?)
  • Globalisierung (es sind die weltumspannenden Konzerne, die diese Dinge zu Geld machen.)

nicht mehr standhalten kann. Woher kommt die rasante Entwicklung des burn-out? Wer träumte noch nicht von einer „Auszeit“ im Job? Was sind die Ursachen der Volkskrankheit „Depression“. Ständig neue sich verändernde berufliche Anforderungen rauben leicht die Energie dauernd hinterherkommen zu müssen. All die Kosten, die im Produktionsprozess eingespart werden, werden hier auf den Gesundheitssektor verlagert.

Um alle diese Technik 4.0 – bedingten, wunderbar vernetzten Prozesse abzusichern, haben sich heute schon in vielen Unternehmen die EDV-Spezialisten eine Macht durch singuläre Kompetenz angeeignet, wodurch sich Unternehmen in eine erschreckende Abhängigkeit dieser Spezialisten begeben. Die Anfälligkeit dieser Systeme durch Hackerangriffe einfacher Betrüger oder Menschen/Völker mit terroristischer Absicht werden uns ja auch täglich vor Augen geführt. Auch für die Absicherung der neuen 4.0-Systeme benötigt es weitere Spezialisten, deren Spezial-Kompetenz uns in noch größere Abhängigkeit begibt. Wir gewinnen eine Vorstellung, welche Anforderungen es benötigen wird, z.B. bei VW die „Selbst-steuerungs-Überwachungszentrale“ vor Hackerangriffen zuverlässig zu schützen, in der die Daten aller 9 Millionen Fahrzeuge in Deutschland und (geschätzt) 200 Millionen in der Welt zusammenfließen. Falls jemand  – ein Böswilliger von außen oder ein Cleverer von innen (was vorkommen soll) – auf die Idee kam, eine Software zu manipulieren.

Die Kosten dieser steigenden Abhängigkeit von immer weniger 4.0 – Spezialisten kann kein kleines Unternehmen tragen. Sie werden zwangsläufig eine weitere Konzentration hin zu technikbasierten Mega-Konzernen bedeuten, deren Macht und Dominanz im globalisierten Kapitalismus bereits jetzt erschreckend ist (Facebook statt regionaler Zeitung, Amazon statt Bücherladen um die Ecke). Hinzu addieren sich die erforderlichen staatlichen Sicherheitsvorkehrungen.

Unsere demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten reduzieren sich auf das Akzeptieren einer 4.0-Alternativlosigkeit, wir übergeben unsere Verantwortung in die Hände von wenigen Digital-Freaks.

 

Die Herrschaft der IT-Ingenieure

Auch mir ist bewusst, dass das deutsche wirtschaftliche Erfolgsmodell auf technischer Innovation, dem Maschinenbau und den Ingenieuren beruht, eine Entwicklung, die erst 20 Jahre andauert. Auch früher hatte Deutschland schon einmal ein Erfolgsmodell, in dem wir das Land der Dichter und Denker waren. Diese Zeit währte eher mehr als 200 Jahre. Wo sind die Philosophen, die sich noch wirklich in relevante gesellschaftliche Entscheidungen einmischen und die gehört werden? Bereits unser Schulsystem bereitet seit Jahren intensiv darauf vor, dass die skizzierten gesellschaftlichen Segnungen bereits jetzt und potenziert in der nahen Zukunft weniger ethisch-humanistisch als digital gedacht werden. Im Abiturgang meiner Tochter wurden an Ihrem Gymnasium im letzten Jahr 8 Schüler mit gut dotierten MINT-Preisen belohnt, keiner für eine sozialphilosophische Forschungsarbeit. Roboter-Entwicklung wird mit Preisen belohnt, ethische und geisteswissenschaftliche Reflexion ist ein nettes Beiwerk.

Ich sorge mich sehr um eine Entwicklung, die nach dem Internet 4.0 einen Menschen 4.0 benötigt. Ja, die Welt bleibt nicht stehen und soll es auch nicht, aber hier bleibt die Aufforderung an Bildung und Politik, an Wirtschaft und jeden von uns, den „ganzen Menschen“ wieder in den Blick zunehmen. An eine Ökonomie und deren Forscher und Entwickler, die digitale Veränderungsdynamik abzuschwächen. Wir brauchen keinen weiteren „4.0-change“, mir graut vor Illusionen, die Arbeitswelt und die Arbeitenden in wenigen Jahren wieder upzudaten, vielleicht auf 5.0 oder 6.14 ?. Das kann man mit Software-Programmen gerne tun.

Liefern wir uns komplett der Sprache und Denkweise von Software-Entwicklern aus oder finden wir eine ökonomische Entschleunigung der Gesellschaft jenseits einiger spiritueller Randnischen?

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